Hintergrund

Stern des Meeres und der Hoffnung

25.03.2021 · Marktl am Inn · Geburtshaus

Am 25. März feiern wir das Hochfest der Verkündigung des Herrn. Noch weit verbreitet ist die frühere Bezeichnung Mariä Verkündigung. Genau neun Monate vor Weihnachten beginnt das irdische Leben des Kindes im Schoß von Maria. Das junge Mädchen aus Nazaret hatte Ja gesagt zu ihrer ganz außergewöhnlichen Berufung, die Mutter eines Menschen zu werden, mit dem sich der Sohn, das ewige Gegenüber des göttlichen Vaters, vom ersten Moment an vereinigen wollte.

Unser Fest lässt also noch einmal die adventliche Atmosphäre der Menschwerdung Gottes lebendig werden. Zugleich wird es jedes Jahr gegen Ende der Fastenzeit gefeiert, heuer nur wenige Tage vor dem Palmsonntag und dem Beginn der Heiligen Woche. Daher liegt bei aller festlichen Freude dieses Tages auch schon ein ernster Zug über ihm: Das Leben dieses Kindes, dessen Geburt angekündigt wird, geht dem Kreuz entgegen.

Diese doppelte Stimmung von Verkündigung des Herrn ist auch ausgedrückt in einem großen Fenster im ersten Stock des Geburtshauses von Papst Benedikt XVI. in Marktl. Im Jahr 2008 schuf es der britische Künstler Mark Angus aus Frauenau im Bayerischen Wald. Von links unten her nähert sich der Engel Gabriel mit seinen großen Flügeln der Jungfrau Maria. Er macht sich klein vor ihr und kniet nieder, um sie nicht zu überrumpeln und ihr alle Freiheit zu lassen. „Du neigst dich mir zu und machst mich groß“, hatte es schon in Psalm 18 geheißen. Und Maria darf verwundert auf sich verweisen, sie darf nachdenken und Fragen stellen. Am Ende ist sie ganz offen und bereit und steht zur Verfügung für ihre mütterliche Aufgabe.

Im Hintergrund des Bildes ist schon das Kreuz zu sehen, an dem der erwachsene Jesus mit der Dornenkrone hängt. Sechs Menschen scharen sich um ihn, in mehr oder weniger naher Verbindung. Einer verschmilzt fast mit dem Kreuzstamm und blickt mit weit aufgerissenen Armen von unten nach oben. Am rechten Bildrand wahrt eine andere Person mehr Distanz und sieht geradezu aus dem Bild heraus und dem Betrachter entgegen.

Der Künstler hat sich in seinem Glasfenster auf die Farben Blau und Gelb konzentriert. Das tiefgründige Blau steht für das sichere Fundament, für die gelassene Ruhe und das tiefe Wasser. Wasser ermöglicht Leben. Wo Maria ihr Ja-Wort zu dem Leben spricht, das in ihr heranwachsen soll, ist sie ganz in Blau getaucht. Sie ist nun wirklich „Mutter aller Lebendigen“ (Gen 3,20) und nimmt so den Namen Eva – Leben – auf, den die erste Frau erhalten hatte.

Aber das Blau steht auch für den Untergang und die lebensfeindliche Macht des Wassers. Im tiefen Wasser ist es dunkel, kein Atmen ist mehr möglich. Das Wasser ist nicht nur Lebenssymbol, es kann auch zum Ort des Todes werden. „Mich umfingen die Fesseln des Todes, mich erschreckten die Fluten des Verderbens“, heißt es wiederum in Psalm 18. Jesus, der Sohn Marias, taucht am Kreuz hinunter in die Todeswasser. Sein menschliches Leben, das ihm seine Mutter schenkte, geht unter in der schändlichsten Todesart. Maria, die am Tag der Verkündigung Ja sagte, bleibt ihrem Wort treu. Sie steht am Ende auch unter dem Kreuz und lässt ihre Hoffnung nicht untergehen.

Von rechts oben fällt das Licht eines Sterns auf das Bild. Mark Angus nennt sein Bild „Ave maris stella“ – Sei gegrüßt, Stern des Meeres. Die Sternbilder über dem Ozean zeigten den Seefahrern einst die richtige Orientierung. Mit dem Ehrennamen Meeresstern haben die Christen schon früh Maria geehrt. Im Blick auf sie und ihr Vorbild finden Gläubige den sicheren Weg durch die Wogen des Lebens, die auch im oberen Teil des Fensters dargestellt sind. Das Gelb des Hoffnungssterns spiegelt sich wider in den Gesichtern aller Menschen im Glasfenster.

Der Künstler hat sich bei seinem Werk inspirieren lassen von der Enzyklika „Spe salvi – Über die christliche Hoffnung“ von Papst Benedikt XVI., die kurz zuvor erschienen war. Darin heißt es: „Menschliches Leben bedeutet Unterwegssein. Zu welchem Ziel? Wie finden wir die Straße des Lebens? Es erscheint wie eine Fahrt auf dem oft dunklen und stürmischen Meer der Geschichte, in der wir Ausschau halten nach den Gestirnen, die uns den Weg zeigen. Die wahren Sternbilder unseres Lebens sind die Menschen, die recht zu leben wussten. Sie sind Lichter der Hoffnung. … Und welcher Mensch könnte uns mehr als Maria Stern der Hoffnung sein – sie, die mit ihrem Ja Gott selbst die Tür geöffnet hat in unsere Welt.“

Benedikt XVI. schließt mit den Worten: „Stern des Meeres, leuchte uns und führe uns auf unserem Weg!“ Maria möge uns zu ihrem Sohn führen: vom Tag seiner Verkündigung an, durch die Karwoche und die dunklen Todeswasser hindurch und hin zum Wasser des Lebens, das an Ostern neu fließen wird.

Dr. Franz Haringer
Theologischer Leiter

Altöttinger Liebfrauenbote, 21.3.2021


Fotos: Dionys Asenkerschbaumer