Hintergrund

Zum Fest des Hl. Franziskus von Assisi

04.10.2020 · Marktl am Inn · Geburtshaus

Zum „Mann des 2. Jahrtausends“ kürte ihn das amerikanische Nachrichtenmagazin Time. Seine Zeitgenossen nannten ihn einen „zweiten Christus“. Und bis heute ist er eine Projektionsfläche für ganz verschiedene Deutungen: Franz von Assisi (1181/82-1226), der am 4. Oktober im Heiligenkalender steht.

Schon den Schwarmgeistern seiner Zeit galt Franziskus als der Fanfarenstoß einer neuen Epoche des Heiligen Geistes, die nach der Zeit des Vaters im Alten Testament und der Zeit des Sohnes in der Ära der sichtbaren Kirche nun endlich das wahre Christentum erscheinen lassen sollte. Zu sehr litten die Menschen an den Schwächen der verweltlichten und reich begüterten Kirche. Zeigte nicht der Arme aus Assisi, der das Evangelium schlicht wörtlich leben wollte, dass nun der ganze kirchlich verfasste Glaube beiseite geschoben werden durfte zugunsten einer ganz freien, innerlichen, selbstbestimmten Lesart des Christlichen?

Doch Franz ist nicht der Umstürzler, zu den ihn manche gerne machen wollten. Seine Berufungserfahrung vor dem Kreuz von San Damiano macht ihm klar, dass sein Auftrag innerhalb der Kirche liegt: „Geh und stelle mein Haus wieder her, das schon ganz verfallen ist!“ So hört er – und nimmt gleich das Baumaterial in die Hand. Später wird er für seine Armutsbewegung die Zustimmung des Papstes einholen und sie bewusst in den Dienst der Kirche stellen, um diese wieder glaubwürdiger zu machen.

Franz von Assisi renoviert Kirchen und Kapellen und will auch den inneren Menschen erneuern. Dabei erkennt er, dass der innere Mensch nicht zu trennen ist von seinen Beziehungen nach außen, gerade auch zur Schöpfung. Franz predigt den Vögeln und singt – in eigener schwerer Bedrängnis – den ergreifenden Sonnengesang, das „Lied der Geschöpfe“. Der dankbare Blick auf die Gestirne, auf Wind, Wasser, Feuer und die Früchte der Erde heilt und renoviert auch den inneren Menschen.

Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., der sich schon als junger Theologe mit der franziskanischen Geisteswelt befasste, hat unlängst das Besondere an Franziskus so ausgedrückt: „Er spürte als Erster, dass die Welt der Spiegel der schöpferischen Liebe Gottes ist, aus der wir kommen und zu der hin wir unterwegs sind.“

Freilich merken wir heute auch, dass sich in der Schöpfung nicht nur die göttliche Liebe spiegelt, sondern dass sie auch deutlich macht, wie es um den Menschen steht, der mit ihr umgeht. Und weil der Umgang des Menschen mit der Natur die Frucht seines Innenlebens ist, spiegelt sich in der Schöpfung auch, wie es um das innere Haus des Menschen bestellt ist, um die Kräfte, die ihn innerlich antreiben.

Benedikt XVI. hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag 2011 auf diese Verflochtenheit von Mensch und Schöpfung hingewiesen und von einer zweifachen Ökologie gesprochen. Zum einen gilt, „dass Materie nicht nur Material für unser Machen ist, sondern dass die Erde selbst ihre Würde in sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen“. Andererseits gibt es auch eine „Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“

In Zeiten der Pandemie wird die Natur, in der wir so viel Schönes und Geordnetes entdecken können, plötzlich zu einem Spiegel anderer Art. Das Rätselhafte und das Gefährliche, das Verwundete und das Unvollendete in ihr tritt uns vor Augen. All das mag uns in uns selber hineinschauen lassen, auf das Ungute und Unerlöste, auf das Gebrochene und Undurchschaubare bei uns selbst. Es scheint, dass der Schöpfergott den Spiegel der Natur, dem wir sonst so viel Freudiges entnehmen, nun dafür einsetzt, um auch einmal in dunklere Ecken hineinzuleuchten, in der Natur und in uns.

Auch Franz von Assisi, dem heiteren Spielmann Gottes, blieben solche schmerzhaften Erfahrungen nicht erspart. Als Verwundeter verbringt er die letzten beiden Lebensjahre. Und doch: Es sind Christi Wundmale, die er trägt. Was immer die Schöpfung und jeder Mensch in ihr an Verwundungen aufweist, hat der gekreuzigte Christus am eigenen Leib erfahren. Auch die Wunden einer von der Pandemie gezeichneten Welt dürfen wir ihm hinhalten. Im tiefsten trägt die ganze Schöpfung doch das Wasserzeichen Christi, des Lebendigen. Das lässt den heiligen Franz trotz allem sagen: „Gott ist die Freude, deshalb hat er die Sonne vor sein Haus gestellt.“

Dr. Franz Haringer
Theologischer Leiter

Passauer Bistumsblatt, 4.10.2020